Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

MDR Figaro, Journal am Mittag, Januar 2007

Schüchternengruppe Magdeburg

Von Amelie Ernst

Anmod.: Schweißnasse Hände vor der Präsentation, leichte Anspannung vorm Besuch der Schwiegermutter - kaum jemand, der solche Situationen nicht kennt. Doch das alles ist nichts gegen das, was extrem Schüchterne und Menschen mit sozialen Ängsten täglich erleben. Panikattacken beim Kontakt mit Verkäufern, regelmäßiges Scheitern bei Bewerbungsgesprächen, Gespräche, die aus Angst nie zustande kommen. Viele Schüchterne ziehen sich ganz zurück, um solche Stresssituationen zu vermeiden, halten manchmal nur noch über die Familie oder das Internet Kontakt zur Außenwelt. Wie rauskommen aus der Isolation? In Magdeburg treffen sich seit einigen Wochen Betroffene in einer Selbsthilfegruppe. Amelie Ernst berichtet.


Am Anfang ist immer Schweigen. Auch heute will beim Treffen der Magdeburger Schüchternen-Selbsthilfegruppe erstmal niemand etwas sagen. Fünf Männer sitzen um den grauen Bürotisch herum - einer knetet krampfhaft seine Hände, die anderen starren einfach in die Luft.

Ton Maik: "Ja bei Frauen und allgemein auch bei fremden Personen vor die habe ich Angst. Also Leute, die ich länger kenne, da bin ich nicht mehr so schüchtern, aber ich habe Probleme damit, irgendwo hinzugehen, wo fremde Leute sind. Wenn’s für mich um irgendwas geht dann habe ich da Angst."

Die Gruppe nickt bedächtig. Maik ist 28, gelernter Kurierfahrer, derzeit ohne Arbeit. Alle fünf kennen sie, die Angst vor der Welt da draußen, die Angst vor dem Angestarrtwerden, die Angst davor, Fehler zu machen. Lange konnte Maik überhaupt nicht darüber sprechen. Doch hier in der Gruppe fühlt er sich verstanden.

Ton Maik: "Das größte Problem ist wenn ich jetzt Jugendliche kennen lernen will in meinem Alter und ich sollte jetzt zum Beispiel in einen Jugendclub gehen. Da würde ich mich gar nicht hintrauen, weil ich die nicht kenne. Obwohl ich das gerne wollte."

Wieder Schweigen. Nicht alle trauen sich an diesem Abend etwas zu sagen. BWL-Student Steffen sitzt einfach da, hört zu, antwortet nur knapp, als sein Gegenüber nach der Uni fragt. Und trotzdem hilft auch ihm die Gruppe, glaubt Gruppengründer Julian Kurzidim - selbst seit Jahren extrem schüchtern:

Ton Kurzidim: "Auch wenn sie nicht über sich reden wollen - die wollen ja andere Leute kennen lernen. Aber da müssen die anderen Leute auch so sein, dass das zusammenpasst. Und in solchen Gruppen wie hier passt das nun mal dadurch gut zusammen, dass die Leute das gleiche Problem haben und sich gegenseitig mehr verstehen. Dann haben die schon mal ein Folgeproblem von Schüchternheit weniger."

Reden und Freunde finden - diese positiven Aspekte einer Selbsthilfegruppe sieht auch Lydia Fehm. Sie arbeitet als Psychologin an der Humboldt Universität Berlin und erforscht dort das Phänomen Schüchternheit.

Ton Fehm: "Also positiv ist in jedem Fall, dass die Betroffenen sich aktiv darum bemühen, was gegen ihr Problem zu unternehmen. Und ich denke ´ne Selbsthilfegruppe ist dann ein sehr niedrigschwelliges Angebot, als gleich ´ne professionelle Therapie aufzusuchen. Zumal man da oft auch mit langen Wartezeiten rechnen muss."

Aber eine Selbsthilfegruppe birgt auch Risiken, so die Expertin. Schüchtern kann schließlich alles bedeuten - vom leichten Kribbeln im Gespräch mit dem Vorgesetzten bishin zur sozialen Phobie, bei der sich Betroffene nicht mehr vor die Tür trauen.

Ton Fehm: "Problematisch wird es wenn die Gruppe sehr heterogen zusammengesetzt ist, also Personen mit sehr starken Ängsten zusammen sind mit Personen mit geringen Ängsten. Also wo´s vielleicht für manche Betroffenen reicht, drüber zu sprechen. Und wo andere wirklich gezielte Übungen bräuchten, um mit ihren Ängsten klarzukommen."

Auch in der Magdeburger Gruppe gibt es Unterschiede: Zwischen dem schweigsamen Studenten Steffen und Fleischermeister Andreas liegen Welten. Denn der wirkt so gar nicht schüchtern, bricht oft als erster das minutenlange Schweigen, erzählt aus seinem Leben und stellt Fragen. Nur mit Frauen hat er ein Problem.

Ton Andreas: "Ich habe es nun inzwischen schon mal erlernen können, zumindest ´nen Augenkontakt herstellen zu können, eventuell wenn´s hochkommt noch mal ein Lächeln von mir zu geben. Aber wenn das Ganze erwidert wird, dann bleibt mir nichts anderes übrig als verlegen zu Seite zu gehen. An Gesprächsaufnahme ist überhaupt kein Gedanke."

Früher bekämpfte Andreas seine Schüchternheit mit Alkohol und lernte so auch Frauen kennen - kurzfristig. Doch jetzt soll alles anders werden - auch mit Hilfe der Gruppe. Gemeinsame Kino- und Kneipenbesuche sind geplant. Denn eines wollen alle: Endlich Leute kennen lernen. Maik hat es schon per Zeitungsannonce probiert. Denn die hat den Vorteil, dass er niemanden direkt ansprechen muss.

Ton Maik: "Ich hab` so geschrieben 'Ich suche Leute für ´ne Freundschaft, eventuell aber auch ´ne Freundin oder so.' Mit Alter habe ich geschrieben und Nichtraucher. Ich suche nette Leute praktisch."

Bei Maik hat das mit der Schüchternheit schon im Kindergarten angefangen. Die anderen Kinder spielten lieber ohne ihn - ganz im Sinne der Eltern.

Ton Maik: -Das liegt ja auch mit an meinen Eltern. Ich wollte mich ja auch, wo ich in der Schule war, nachmittags mit Leuten treffen. Das wollte meine Mutter aber nicht. Da war ich auch viel alleine und kenne deshalb nicht den Kontakt, so mit Menschen umzugehen.

Tatsächlich liegen die Ursachen für soziale Ängste oft in der Kindheit, meint Psychologin Lydia Fehm. Doch nicht immer sind die Eltern Schuld. Auch die Gene und die Erfahrungen der Kinder mit anderen Menschen spielen eine Rolle. Einen Trend zu mehr Schüchternheit durch den Druck der modernen Gesellschaft kann sie allerdings nicht entdecken.

Ton Fehm: "Also die 'Ellenbogengesellschaft' ist sicher ein Risikofaktor, andererseits haben wir zum Beispiel durch elektronische Medien auch neue Möglichkeiten. Es gibt einfach viele Faktoren, die eigentlich dazu beitragen müssten, dass die Leute besser damit klarkommen."

Das Internet dient Schüchternen tatsächlich oft als erstes Medium zur Kontaktaufnahme. Auch die Selbsthilfegruppe präsentiert sich im Netz. Schließlich will Julian Kurzidim möglichst viele Schüchterne für die Gruppe gewinnen.

Ton Kurzidim: "Statistiken sagen so zwischen 3 und 13 Prozent - verglichen damit ist der Zulauf zu den Gruppen sehr wenig. Ich sag mal so: ´Ne Stadt wie Magdeburg könnte zehn solche Gruppen vertragen. Da draußen sitzen noch ´ne ganze Menge Leute, die hierher kommen wollen, die aber nicht so richtig den Mut finden, und über diese erste Hürde nicht so richtig rüberkommen."

Und deshalb will Julian Kurzidim in den nächsten Monaten noch drei weitere Selbsthilfegruppen in Sachsen-Anhalt gründen.

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