Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Rundbrief August 2013

Titelseite

Inhalt:
   - Bewertungsfunktion
   - Radtour in Magdeburg
   - SoPho Research
   - Mein Weg in die SHG
   - Jahrhunderthochwasser
   - Fear and loathing an der Hindenburgkampfbahn
   - Forschungsreise zu den Menschen, Teil 4
   - Mit Scheu, Scham und Western-Hut

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ZITAT

"Du stellt dich schüchtern hinten an
und schiebst von dort so vieles an.
Raus aus den Schatten, rein ins Licht
sich ein wenig feiern, schadet nicht ...
Sing doch mal gelegentlich
eine Hymne auf dich"

Sportfreunde Stiller, Lied "Hymne auf Dich"



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Bewertungsfunktion auf schuechterne.org

Die Einzelseiten des Webangebots des intakt e.V. - damit auch Rundbrief-Ausgaben, Zeitungsartikel und Terminseiten der Gruppen - können mit einem Klick bewertet werden.
Das klingt zunächst nach Facebook - dort hat man mit dem Link "Gefällt mir" eine einfache und beliebte Feedbackmöglichkeit erfunden.
Natürlich ist unsere Webseite nicht mit Facebook oder einem anderen "Datenkraken" vernetzt. Doch das Konzept des Links - eine Abstimmung einfach per Klick - ist gut. Daher hat der intakt e.V. eine ähnliche Funktion in seine Webseite eingebaut. Das Programm, das die Stimmen zählt, ist von Julian selbst erstellt worden und liegt auf einem von ihm betreuten Server.

Oben in der linken Spalte jeder Seite von schuechterne.org ist ein hellblauer Kasten eingeblendet, mit dem Text und den Links: "Diese Seite ist: gut - schlecht".
Mit einem Klick auf den entsprechenden Link läßt sich die Stimme abgeben. Erlaubt ist eine Stimme pro Einzelseite, Tag und IP-Nummer (→1). Sobald ein Bewertungslink angeklickt wurde, erscheint stattdessen die Meldung "Stimme abgegeben". Bis jetzt sind 181 Einzelseiten bewertet worden.
Die Stimme wird gespeichert und gezählt. Wobei sie mit der Zeit aber an Gewicht verliert; auf diese Art sollen auch neue Seiten (z.B. neue Rundbriefe) die Chance auf einen hohen Platz bekommen. (→2)
Die fünf Seiten mit den besten Bewertungen werden direkt auf der Hauptseite verlinkt. So erhalten Besucher der Seite Tips direkt von anderen Besuchern, beliebte Texte müssen nicht mehr lange gesucht werden. Aber auch die "weiteren" Plätze sind für uns interessant. Wir können erkennen, wo wir einen "versteckten Schatz" haben - welche Einzelseiten beliebter sind als wir vermuten. Das bedeutet dann, wir sollten sie auffälliger verlinken.

Also: Beim nächsten Surf auf schuechterne.org klickt eure Meinung.

↑1 Die IP-Nummer ist die Adresse eines Computers im Internet. Jeder mit dem Netz verbundene Computer hat eine, beim Einloggen wird sie vom Internetanbieter automatisch zugeteilt. Man kann sie mit einer Postleitzahl oder einer Hausnummer vergleichen. Per IP-Nummer können wir auch aussortieren, wenn die Bewertungslinks von Suchmaschinen-Robots (z.B. Google) aufgerufen werden. Die sollen und wollen schließlich keine Bewertung abgeben.

↑2 Eine Stimme verliert täglich 0,5% ihres Anfangswerts. Nach 100 Tagen hat eine Stimme nur noch den halben Wert. Ab dem 160. Tag bleibt ihr Wert bei 20%.




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Radtour in Magdeburg am 11.8.

Hallo,

auf diesem Wege möchte ich Euch alle recht kurzfristig zu unserer diesjährigen Radtour am Sonntag, den 11. August 2013, recht herzlich einladen. Alle Radler treffen sich hierfür um 11:00 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz (Bahnhofs-vorplatz), um von dort zu einer Tour in die Hohe Börde zu starten. Vom Hauptbahnhof geht es am Magdeburger Ring entlang durch kleine Nebenstraßen nach Neu Olvenstedt. Durch die Röthen (Naturschutzgebiet) fahren wir über Feldwege nach Niederndodeleben. Nach 14 km erreichen wir den 146 m hohen Warthberg mit dem Bismarckturm, von welchem man einen schönen Blick in die nähere Umgebung von Magdeburg geniessen kann. An diesem Ort ist auch eine ausgiebige Pause angedacht, weil doch der ein oder andere Anstieg auf der Tour "im Wege steht". Durch die Flur fahren wir auf einem Plattenweg zurück nach Magdeburg-Diesdorf. Danach geht es immer an der Schrote entlang zurück zum Hauptbahnhof, wo wir nach 25 km hoffentlich wieder ohne Sturz und Panne ankommen werden. Abschließend könnte man zu einer "Nachbe-sprechung" der Tour in ein Cafe einkehren.

Zur besseren Planung möchte ich alle Interessierten bitten, mir bis spätestens zum 10. August 2013 eure Teilnahme zu bestätigen. Durch die Erstellung einer Teilnehmerliste kann verhindert werden, dass wir jemanden am Startort vergessen. Das hat sich in den letzten Jahren wirklich gut bewährt.

LG, Marcus


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Studienteilnehmer/innen gesucht

Vermeiden Sie häufig Situationen, in denen Sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen oder mit anderen sprechen müssen? Und gehört es zu Ihren größten Ängsten, zu erröten, sich peinlich zu verhalten oder negativ beurteilt zu werden?
Wenn Sie diese beiden Fragen mit "Ja" beantworten, oder es in Ihrem Leben einmal eine längere Phase gab, in denen Sie diese bejaht hätten, hoffen wir, Sie für unser Projekt gewinnen zu können!

SoPho research ist ein Projekt der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Bonn in Kooperation mit dem Institut für Humangenetik der Universität Bonn, welches das Ziel verfolgt, die biologischen Ursachen der Sozialen Phobie, sowie die Interaktion dieser biologischen Ursachen mit individuellen Entwicklungsbedingungen zu erforschen. Dazu werden anhand von Blutproben sogenannte genomweite Assoziationsanalysen durchgeführt. Bei diesen Analysen wird festgestellt, ob bestimmte Genausprägungen bei Personen mit Sozialer Phobie häufiger vorkommen. Des Weiteren werden Fragebögen vorgelegt, mit Hilfe derer wir Informationen über mögliche Entwicklungs-bedingungen der Sozialen Phobie gewinnen möchten.

Weitergehende Informationen zum Projekt finden Sie auch über:
www.sophoresearch.de

Für das vorgestellte Projekt möchten wir alle Personen mit einer Sozialen Phobie und auch Personen, die glauben, an einer Sozialen Phobie zu leiden, bitten sich bei uns zu melden!

Tel.: 0228/287-14605
E-Mail: sophoresearch(ä)ukb.uni-bonn.de

Sie können hier einen großen Beitrag dazu leisten, das Verständnis und die Akzeptanz der Sozialen Phobie zu vertiefen und die Therapie und Diagnostik in der Zukunft zu verbessern.

Alle weiteren Details und Fragen zur Studie können dann per E-Mail oder im persönlichen Gespräch geklärt werden. Die Studie ist nicht ortsgebunden, d.h. Sie können Ihren Wohnsitz in ganz Deutschland haben.

SoPho research Studiencenter:
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn


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Mein Weg in die Selbsthilfe

Selbsthilfe ist als Hilfe nicht zu unterschätzen. Meiner Meinung nach steht sie in unseren gewärtigen Zeiten vor ihrer größten Chance, vor einem nicht gekannten Boom.
Depressionen, Ängste, Zwänge, BurnOut, Schizophrenie etc. tauchen nicht nur gelegentlich an unserem Arbeitsplatz, im Hörsaal, Klassenzimmer oder in der Familie auf, nein, diese Bürden, die uns und unser Leben auf eine schier unerträgliche Weise herausfordern, scheinen sich zusammenzurotten, fast jeden anspringen zu wollen, und etliche von uns, die bereits durch die heute herrschende Arbeitswelt und deren Bedingungen geknechtet sind, fallen sofort um. Doch ist das nur die eine Seite der psychosozialen Medaille.
Denn keiner von uns, den diese Schläge treffen, muß einsamer Kämpfer auf weiter Flur sein und nur Hilfe durch Ärzte oder Psychologen an seiner Seite wissen. Ein dichtes Netz aus Selbsthilfegruppen, sozialen Anlauf-punkten und Betroffenenvereinen spannt sich mittlerweile in unserem Land, auch in Bonn und der Region. Ich bin dankbar für meine vielseitigen Selbsthilfeerfahrungen. Ich möchte sie nicht missen. Sie haben mein Leben bereichert und tun dies immer noch. Viele "Meetings" habe ich schon in diesen hellen, freundlichen Basementräumen in der Kessenicher Lotharstraße besucht, versteckt im "Keller" einer modernen Altenwohnanlage, welche mir als Senior vielleicht auch zusagen würde, wenn ich nicht schon beschlossen hätte, meinen Lebensabend im brandenburgischen Eichwalde verbringen zu wollen.
Zur "Sekis" fand ich schon vor vielen Jahren, ich hatte da meine schwere Zwangserkrankung schon bewältigen können, auch durch Selbsthilfeerfahrungen, die ich in der Uniklinik auf dem Venusberg gemacht hatte. Ich fand die Gruppe der Sozialphobiker, immer jede zweite Woche im Monat freitags, mit dem schönen Namen "Schritt vorwärts" zusprechend; ja, auch bei mir stand und steht die Angst ziemlich unübersehbar auf dem Marktplatz meines Lebens. Ich frage mich, ob letztendlich nicht alles durch Angst oder durch keine Angst hervor-gerufen wird und es auch in meinem Leben mit seinen tausend Baustellen immer so abgelaufen ist. Bei "Schritt vorwärts" blieb ich hängen, ihr bin ich bis heute treu und auch dankbar, seit kurzer Zeit ihr Sprecher zu sein.
Die Gruppe steht auf stabilen Füßen, ist nicht zu klein und nicht zu groß, kennt natürlich ihre "Dinosaurier", die Mitglieder, welche irgendwie schon immer da waren und da sind, die "Eintagsfliegen", Interessierte, die 1x vorbeifliegen und nimmermehr gesehen wurden und die Teilnehmer aus der Mitte, die ein "Meeting-Abo" für einige Jahre eingerichtet haben. Männlein wie Weiblein, von Mitte 20 bis Anfang 50, Arbeitssuchende, Studenten, Schüler, Selbstständige oder Frührentner - alle begegnen sich hier auf Augenhöhe, alle könnten beizeiten an ihrer verdammten Angst wirklich verzweifeln und jeder und jede pflückt stets seine ganz persönliche, Kraft gebende Frucht vom starken Baum im Garten der Selbsthilfe.
Meine persönliche Frucht heißt: Freundschaften. Ich gestehe, mittlerweile mehr den Moderator in den Gruppentreffen zu geben und eigene Themen, die mich plagen, weniger zur Sprache zu bringen. Für mich ist dies aber voll o.k.. Ich suche in der Selbsthilfe mehr das Kennenlernen anderer Menschen. Eine meiner jetzigen besten Freundinnen durfte ich in der Gruppe kennenlernen. In der von mir 2007 gegründeten Selbsthilfegruppe von Menschen ohne Beziehungs-erfahrungen (es gibt sie nicht mehr) traf ich auf B.; wir beide wurden ein Paar, wenn auch nur kurz.
Solche schönen Erfahrungen bestärken mich in meinem Weg in der Selbsthilfe.

- März 2013 -
Klaus, Sprecher SHG "Schritt vorwärts"


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Das Jahrhunderthochwasser 2013 in Magdeburg - mal so gesehen!

Die Geschichte von Magdeburg wurde schon immer von der Elbe mitgeschrieben.
Im Juni 2013 sollte nach tagelangen Dauerregen noch ein dramatisches Kapitel hinzukommen. Bei den Bildern aus Sachsen und Thüringen wurden schmerzliche Erinnerungen an das erste Jahrhunderthochwasser 2002 wach, welches doch eine einmalige Flut sein sollte. Doch spätestens am 09. Juni wurde auch den letzten Optimisten bewusst, dass der Pegel mit 7,47 m ungeahnte Dimensionen erreicht hat. Dass die meisten Deiche dem Wasser standgehalten haben, ist dem unermüdlichen Einsatz der vielen freiwilligen Helfer aus dem ganzen Land zu verdanken. Mit dem gemeinsamen Ziel, eine Tragödie für Magdeburg abzuwenden, wurden 2.500.000 Sandsäcke sowie 200.000 Big Bags befüllt und durch Menschenketten zu ganzen Wällen verbaut. Die Versorgung der Helfer wurde durch unzählige Spenden aus der Bevölkerung gewährleistet. Im Verlaufe der Krise entdeckten viele Leute ihre verborgenen Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft und Solidarität wieder, welche heutzutage leider schnell in Vergessenheit geraten. Das Gefühl ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein, ist vor allem für Menschen mit Sozialphobie eine wunderschöne Erfahrung. Bleibt zu hoffen, dass mit dem Hochwasser nicht gleichzeitig auch der Zusammenhalt verschwindet. Denn für das Gefühl "Wir sind eine Gemeinschaft!" auf die nächste Jahrhundertflut zu warten, kann nicht von uns gewollt sein.

Marcus / Gesprächskreis Sozialphobie Magdeburg


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Fear and loathing an der Hindenburgkampfbahn

Inspiriert durch Julians "Reisen zu den Menschen" möchte ich hier vom Kampf gegen meine Schüchternheit im Alltag berichten. Wer mich kennt, weiß, dass ich seit Jahren Dauerkarteninhaber von Hannover 96 bin.

Eines Tages wollte ich die Gelegenheit nutzen und vor einem Spiel der Profimannschaft, weswegen ich sowieso nach Hannover fahren würde, noch ein Spiel der U19 meines Vereins, welches am gleichen Tag stattfand, besuchen. Das Spiel an sich interessierte mich nicht großartig, ich wollte es aber unbedingt sehen, da unsere U19 ihre Heimspiele im altehrwürdigen Eilenriedestadion (→1) austrägt. In dem Stadion war ich zuvor noch nie und diesen Makel galt es nun zu abzustellen. Extra zu dem Spiel der Profis reiste auch ein Kumpel von mir an. Ich versuchte ihn zu überreden, sich mit mir auch das Jugendspiel anzuschauen. Da er deswegen aber nicht früher aufstehen wollte, blieb mir keine andere Wahl als allein hinzugehen. Das an sich war schon eine kleine Angstschwelle die es zu überspringen galt. Allerdings habe ich darin schon Routine, da ich auch zu den Spielen der Profis oft allein gehe. Das ist für mich als Sozialphobiker eine sehr gute Übung, da man so gezwungen ist mit fremden Leuten zu kommunizieren, aber das nur nebenbei.

Ich machte mich also am Spieltag auf, um kurz vor Anpfiff am Eilenriedestadion zu sein. Als Dauerkarteninhaber hat man zu Spielen der Jugendmannschaften freien Eintritt. Ich fragte die Dame im Kassenhäuschen ob sie mir dennoch eine Eintrittskarte als Andenken geben könnte. Wollte sie leider nicht, aber die Tatsache, dass ich mich überhaupt getraut habe zu fragen, werte ich als Erfolg. Sobald ich das Stadion betrat, merkte ich, dass sich die Aktion schon zu diesem Zeitpunkt gelohnt hatte - das Eilenriedestadion, ist sehr schön anzusehen und hat einen Charme den man bei modernen Arenen gänzlich vermisst. Es waren außer mir noch ca. 150 andere Zuschauer da und ich sah, dass ich nicht der Einzige war der allein zu dem Spiel gegangen ist.
Die eigentliche Herausforderung für mich kam allerdings erst in der Halbzeitpause. Dazu muss man wissen, dass direkt am Eilenriedestadion die Ultras Hannover (→2) ihr so genanntes Fanhaus haben, in dem sie sich vor Heimspielen treffen. Ich wollte unbedingt einen bestimmten Schal von denen kaufen und machte mich nach dem Pausenpfiff, trotz einiger Bedenken ob das überhaupt möglich sein würde, in Richtung Fanhaus auf. Vor mir gingen ein paar Teenager die offensichtlich zu den Ultras gehörten. Sie kletterten einfach über einen Zaun und kamen so direkt auf das Gelände des Hauses. Das brachte mich auf die Idee es ihnen gleichzutun. Dazu kamen aber sofort die üblichen schüchternen Bedenken auf wie "Darf ich das?" "Wie reagieren die wenn ich als Fremder einfach bei Ihnen reinplatze?" ...etc. Um auf Nummer sicher zu gehen fragte ich nach einigem Zögern einen der Teenager ob sie den Schal noch haben. Als er dies bejahte fragte ich noch ob ich eben mitkommen könnte um den Schal zu kaufen. Der meinte nur "Wenn Sie da rüber kommen.". Frechheit! Ich schaffte es natürlich und überstieg so im wahrsten Sinne des Wortes eine Angstschwelle.
Ich erntete zwar ein paar skeptische Blicke von den Anwesenden, das war aber auch alles. Einer fragte mich freundlich was ich wollte und ich traute mich sogar den ersten Schal der mir gegeben wurde zu reklamieren, weil dieser leicht beschädigt war. Mit einem intakten Schal im Gepäck kletterte ich unfallfrei wieder ins Stadion zurück und sah mir den Rest des Spiels an.

Später erfuhr ich, dass das Eilenriedestadion bald umgebaut werden soll und ich es so dank meiner Überwindung noch im ursprünglichen Zustand habe sehen können. Der Schal hängt mittlerweile bei mir an der Wand und erinnert mich immer wieder an die erfolgreiche Überwindung meiner Ängste an diesem Tag.
Schließen möchte ich mit den zwei Zitaten, die an der denkmalgeschützten Haupttribüne des Eilenriedestadions angebracht sind und die auch für uns Schüchterne große Relevanz haben: "Niemand ist frei der nicht über sich selbst Herr ist." und "Was man nicht aufgibt hat man nie verloren."

Arne / Celle

↑1 Das Stadion wurde 1921 erbaut und trug früher den Namen Hindenburgkampfbahn.

↑2 Bei den Ultras handelt es sich um eine verschworene Gemeinschaft fanatischer, meist jugendlicher Anhänger eines Vereins, die sich als Herrscher der Fankurve betrachten und auch Gewalt nicht immer abgeneigt sind.




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Forschungsreise zu den Menschen
Teil 4: Links, zwo, Hartz, vier!

Nach zwei schönen Orten in den letzten Folgen geht es nun in eine Gegend, die eher als das Gegenteil gilt: in die Hartz-4-Bürokratie.
Doch bei dem Thema muß ich zunächst eine verbreitete Empfindung ansprechen: Das Wort "Hartz 4" löst bei vielen Angst und Wut aus. Es ist ein sprichwörtliches "rotes Tuch". Dieses Sprichwort paßt - es sagt, daß man eigentlich NICHT wütend werden sollte. Denn es kommt wahrscheinlich aus dem Stierkampf. Genau da sitzt der springende Punkt: Dort wird das rote Tuch benutzt, um den Stier von sich abzulenken und ihn in eine passende Position für den Säbelstoß zu manövrieren. Daher die Regel: "Wenn du ein rotes Tuch siehst, halte deinen ganzen Verstand zusammen! Prüfe, ob dir jemand ein unfaires Spiel aufzwingen will."

Diese Regel befolgte ich auch, als ich ein rotes Tuch gezeigt bekam - in diesem Fall eine Ladung der "Arge" (→1) zur Kontoprüfung, zwecks Verlängerung meines Hartz-4-Bezugs. Ich bereitete mich vor mit einer Exceltabelle mit meinen Kontoständen - nicht um sie vorzulegen, sondern um zu sehen, bei welchen Zahlungen meine Konten einen auffälligen Eindruck machen. Danach fand ich den Mut zu diesem Termin. Auf dem Weg zum Amt ließ ich mir von der Bank noch einmal den tagesaktuellen Girokonto-Stand geben.

Alle Kontoauszüge der letzten 6 Monate wurden durchgesehen. Beim Sparbuch war es noch einfach, bald ging es an die große Aufgabe: das Girokonto. Manche meiner Daueraufträge erwiesen sich als kleine Stolperfallen: "Was ist EWS?" - "Strom." (→2)
Damals lief noch Gruppen-Fördergeld über mein Konto, weshalb ich aber alle Förderbescheide für SHG und intakt e.V. mitgenommen hatte. Ich versprach, in Zukunft dafür das Vereinskonto zu nutzen. Erklären mußte ich es trotzdem, aber das tat ich gerne: "Das hier zum Beispiel ist unser Projekt in Magdeburg" - schon lag ein halbseitiger Zeitungsartikel mit einem Foto von mir auf dem Tisch. Da, wo ich ihn haben wollte.
Problemlos dagegen wurde mein Überweisungs-kreislauf akzeptiert: um über die Kontogebühren-Freigrenze zu kommen, lief mein Geld über 2 Stationen von meinem Konto auf mein Konto. Natürlich alles mit Protokoll und Unterschrift, und der Möglichkeit zum Nachrechnen: "1250 müssen monatlich als Über-weisungen eingehen, da können Sie prüfen, alle Beträge zusammen ergeben immer 1260."

Zum Schluß ging meine Sachbearbeiterin zum Kopierraum, ich sollte solange auf dem Flur warten. Dort sprach mich eine weitere "Kundin" an. Sie sah aus, als hätte sie es im Leben nicht so gut gehabt wie ich. "Die suchen was, um uns das Geld zu verweigern." Meine Antwort: "Keine Angst. Die gucken genau hin, aber dann stimmt deren Rechnung auch." Der Satz drückte meine Erfahrungen gut aus (→3), war aber natürlich nicht nur an meine Gesprächspartnerin gerichtet: Ich hoffte, daß meine Sachbearbeiterin ihn zufällig mithören würde. Ich wurde gleich auf dem Flur verabschiedet. Der Stapel Kopien sah aber sehr schmal aus, wie hat sie denn 68 Kontoauszugs-Seiten darauf kopiert? Mit der Zusage, daß sie meinen Bescheid gleich fertigmachen würde, war ich entlassen. Ich erhielt meine Verlängerung.

Ein Jahr später hatte ich den nächsten Kontoprüfungs-termin, diesmal bei einer anderen Sachbearbeiterin. Das Gruppengeld lief natürlich nicht mehr über mein Konto, dafür wurde nun meine Art beanstandet, wie ich Kontogebühren vermied. Aber auch diesmal konnte ich lückenlos Dokumente vorlegen, und so blieb es am Ende bei einer schriftlichen Erklärung, daß es nur um die Gebühren ging. Mein Kommentar: "Wer mit 600 Euro auskommen muß, kommt eben auf solche Ideen."
Während dieses Termins lagen die Vorjahresakten halboffen auf dem Tisch, so konnte ich einen heimlichen Blick drauf werfen. Was mußte ich dort lesen, in der Handschrift der vorjährigen Sachbearbeiterin? "Auf die Kopie der gesamten Kontoauszüge habe ich wegen deren Anzahl verzichtet." Nur der letzte der sechs Monate war kopiert worden.

Am Ende des Termins hielt ich es für passend, noch ein Kompliment zu machen. Die Leute im Arbeitsamt haben ja oft Angst vor ihren "Kunden", da kann es nicht schaden, positiv aufzufallen. Ich sagte also ihr dasselbe, was ich ein Jahr vorher im Flur gesagt hatte.
Was ich nicht bedacht hatte: Genau das - "Sie schauen sehr genau hin" - bekommt sie oft von überführten Betrügern zu hören. Daher fiel sie in eine automatische Rechtfertigung, "das ist Steuergeld, da müssen wir nun mal aufpassen." Oh - ist da ein Kompliment als rotes Tuch mißverstanden worden?
Aber ich bestand auch diese Prüfung und erhielt ein halbes Jahr weiter Hartz 4.

Es sollte das letzte halbe Jahr sein. Denn dann hat die sonst so korrekte Arge doch noch einen Fehler gemacht. Sie hatte bei meinen Vermögensbelegen die Zeilen "Geldeingang" und "Kontostand" vertauscht. Da mehr Geld eingegangen als noch vorhanden war, wurde mein Vermögen zu hoch angesetzt, fiel über meinen Freibetrag und ich aus dem Hartz 4.
Ich überlegte, ob ich es reklamieren sollte, aber nur kurz. Mein Arbeitseinkommen war bereits so hoch, daß ich auf das "Sahnehäubchen" (→4) verzichten konnte. Ich verzichtete auf weiteren Hartz-4-Bezug und begann freiwillig das Abenteuer des normalen Gelderwerbs.

Julian / Braunschweig

↑1 Das, was heute "Jobcenter" heißt.

↑2 Ich habe nicht erwähnt, daß es sich dabei um Ökostrom handelt.

↑3 Unter anderem hatte das Amt in meiner Mietnebenkosten-Abrechnung einen Fehler gefunden, der nicht einmal mir aufgefallen war.

↑4 Als solches bezeichnete ich das Hartz-4-Geld gegenüber meinem Fallmanager, sobald mein Arbeitseinkommen hoch genug war.




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Mit Scheu, Scham und Western-Hut
Erlebnisberichte eines Sozialphobikers in freier Wildbahn

Teil 2: Ein Anfang für mein Leben

Wie angekündigt möchte ich heute über den Anfang meines Lebens in Braunschweig berichten. Da ich in Braunschweig geboren und aufgewachsen bin, muss ich zugeben, dass da Erklärungsbedarf besteht.
Über meine Kindheit kann ich nicht viel sagen, mir sind kaum Erinnerungen geblieben. Merkwürdigerweise sind große Teile der Zeit bis etwa meines 13. Lebensjahres weg. Einige Ereignisse habe ich noch im Kopf, aber der größte Teil ist weg. Oh, aber natürlich erinnere ich mich an die erste Frau in meinem Leben (meine Mutter mal nicht mitgezählt): Leonie. Da waren wir sechs oder sieben Jahre alt und ich habe diesen einen wundervollen Tag mit ihr noch genau im Gedächtnis. Doch diese Geschichte bleibt bei mir. Schade nur, dass man sich irgendwann aus den Augen verloren hat.

Weiterhin war meine Jugend nicht sonderlich erfüllt. Es gab zwar vereinzelt Freunde, aber war ich auch stets Ziel von Mobbing. Eine Karriere, wie sie sicher andere Sozialphobiker kennen. Nach und nach zog ich mich stetig weiter zurück. Einsamkeit, Ängste, Enttäuschungen und missbrauchtes Vertrauen... Das Übliche. Irgendwann war ich an einem Punkt, an dem ich das Haus nicht mehr verlassen habe, wenn es zu vermeiden war. Schule schwänzen ging glücklicherweise nicht, das hat meine Mutter nicht zugelassen.
Nun ja, ein Leben würde ich das nun nicht gerade nennen, denn viel mehr war da wirklich nicht.

Nur wann begann es denn jetzt? Das ist noch gar nicht lange her. Etliche Jahre habe ich gebraucht um herauszufinden dass und vor allem was mit mir nicht stimmt, oder besser gesagt: Was mich von anderen unterscheidet. Ich startete eine Therapie und besuchte die Gruppe. Außerdem - und das ist der wichtigste Punkt - konnte ich damit anfangen mich selbst zu akzeptieren, wie ich bin und daraus neue Kraft schöpfen. Kraft das zu tun, was ich tun will. Die Gruppe hat mir dabei sehr geholfen, denn nur so habe ich einen Anfang gefunden und so etwas braucht eine jede Geschichte.
Ich bin noch lange nicht am Ziel, doch mein Leben hat auch gerade erst begonnen.

M.

In Teil drei wird es TAUSEND ELEFANTEN geben!


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zuletzt am 16.07.2023 um 12 Uhr 26