Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Rundbrief August 2024

Titelseite

Inhalt:
   - Tabu als Kundenfänger?
   - Meine Perspektive - Ja zur Angst
   - Mit sozialer Angst ins Krankenhaus

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ZITAT

""Du brauchst ein Auto, so groß wie ein Schiff,
Ich hab gehört, dass du sonst ein Niemand bist.
Du brauchst ein Schiff so groß wie ein Haus,
ich weiß nicht warum, doch man sagt dass du das brauchst.""

Sido, "Fuffies im Club"



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Tabu als Kundenfänger?

Es ist ja die Realität, daß unser Thema nicht den Zuspruch findet, den es von seiner Verbreitung her eigentlich haben müßte. Das erfordert - oder beschleunigt, begünstigt, erleichtert - neue kreative Ideen für die Werbung.
Das Postfahrrad als Infostand ist eine solche. Es fällt nicht nur auf, sondern ist auch Tisch und Transportfahrzeug in einem. Es erspart viel Aufbau, für den uns so oft die Leute fehlen.

Aber welcher Spruch kommt aufs große Plakat?Schon in den Vorjahren hatte ich experimentiert.
"Sie fühlen sich erwischt? Keine Angst!" oder "Ein Jahr Wartezeit? Komm solange zu uns!" waren zu lesen. Dieses Jahr habe ich ein großes Schild an den Stand gehängt: "Tabu-Thema"

Die Idee habe ich im Grunde abgeguckt von Trump und der AfD, die sich bewußt und gewollt als Tabubrecher inszenieren. Sie sind zwar kein Vorbild, aber - nicht zu leugnen - damit erfolgreich. Muß denn "konsequent anti-AfD" wirklich bedeuten, bewußt und gewollt erfolglos zu sein?
In Wahrheit ist es unser Thema, das "man sagen dürfen" muß, ohne dafür ausgegrenzt zu werden!

Hat das Schild eher abgeschreckt oder neugierig gemacht? Der Zulauf zum Stand war jedenfalls nicht höher als in den Vorjahren. Wie leider üblich kam keine Meinung von unserer Zielgruppe - die zu hart gelernt hat, ihre Meinung für sich zu behalten. Die Zeitung, auf die ich geschielt hatte, beschränkte sich auf die "Junge Selbsthilfe".
Aber womöglich geht es auch nicht darum, sondern um den schnellen Effekt. Das "Laufpublikum" mit anderen Zielen schaut nur wenige Sekunden, in diesen muß die Botschaft rüberkommen. Wer den Platz nur schnell überqueren wollte, konnte es sehen. Und da sind auch die vielen, die sich ihre sozialen Ängste selbst nicht eingestehen wollen. Die es irgendwie fühlen, aber nicht wissen und auf die schon der Spruch "Sie fühlen sich erwischt" zielte. Wie kommen wir an diese ran?

Dazu wird aber sicher beim nächsten Stand wieder ein anderer Spruch hängen.

Julian / Braunschweig


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Ja zur Angst
Meine Perspektive

ZUSAMMENFASSUNG
   - Lektionen aus der Queer Bewegung
   - Aktivismus - neue Power für Mental Health!
   - Unser Angst Exit


von Wolfgang Chr. Goede

Die Hemmung scheint berechtigt. Neulich hörte ich von der Leitung einer Angstselbsthilfe, dass Zugeben von Angst in der Wirtschaft fast einem Todesurteil gleichkomme. Man stelle sich damit selbst gegen die Wand. Riskiere nicht mehr ernst genommen zu werden. Ziehe bei Entscheidungen mit ungünstigem Ausgang sogar die rechtliche Verantwortung auf sich.

Wie desolat! Ja, so funktionieren viele Konzerne und CEOs. Leider. Stets vermeintlich unerschrockene Macher, die für ihren Murks sofort Sündenböcke hervorzaubern. Auch dort, ganz oben herrscht pure Angst! Die Deutschlands innovatorische Zukunft blockiert.

Deshalb, nicht länger verstecken, vor anderen und sich selbst, lieber den zentnerschweren Angstrucksack abwerfen und hiermit "Aufbruch" in die Welt senden - soo schwer?

In den 1970ern lebte ich im liberalen San Francisco. Da war Tabuisiertes normal, etwa Schwul-Sein. Aus der ganzen Welt strömten Menschen dorthin. Wegen der Offenheit. § 175 schaffte Deutschland erst 1994 ab. Autokratische Regime peitschen Ertappte aus, verstümmeln, steinigen - bis heute. Die Queer-Bewegung, das Recht auf die eigene Sexualität, ist dennoch unstoppbar. Weil sich immer mehr outen.

Derzeit finden wieder Märsche und Partys rund um den Christopher Street Day CSD statt: in über 200 Städten, bis zu einer Million auf den Beinen. Queers stehen zu sich, quietschbunt, provokativ, überall. Sogar die Münchner S-Bahn rollt im Regenbogen.

Flagge zeigen! Das gilt für alle Menschen, die sich ausgrenzen oder diskriminiert fühlen: Alter, Hautfarbe, Behinderung - es gibt so viele Anlässe.

Wenn Angstbetroffene das Stigma bei den Hörnern packten, würde Leben mit Ängsten leichter - endlich normal. Daraus könnte eine neue soziale Bewegung erwachsen, etwa Pro Mental-Gesundheit - überfällig: Stünden wir nicht mehr so auf Kriegsfuß mit unserer Psyche, wir glücklicher, friedlicher, toleranter wären. Ein GameChanger.

Es liegt an uns. Uns selbst nicht länger zum Opfer zu machen. Jahrelang moderierte ich eine Angstgesprächsgruppe. Wiederholten sich Teilnehmende mit ihren Themen zu oft, ohne Anstalten von Aufbruch zu zeigen, sagte ich schon mal: "Du hast Selbsthilfe, lebenslänglich." Das war harsch, zugegeben. Nicht Endstation, sondern Wendeboje, für einige. Sie inszenierten ihre Ängste als öffentliches Theater und Angstlehrstück. Applaus.

Angstselbsthilfe, Aktivismus bringt auch dich weiter!


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Mit sozialer Angst ins Krankenhaus

ZUSAMMENFASSUNG
   - Herausforderung Menschenkontakt im Krankenhaus
   - Umgang mit medizinischen Themen
   - Abläufe im Krankenhaus


Zuerst möchte ich auf den Text: "Hemmschwellen beim Arztbesuch" aus dem Rundbrief Dezember 2022 hinweisen: https://www.schuechterne.org/rb226.htm

Vorlauf

Vor etwa 15 Jahren war ich selbst das letzte Mal auf ein Krankenhaus angewiesen. Damals ging es, um einen Verkehrsunfall und ich war viel ohne Bewusstsein und habe somit kaum Erinnerungen an den Krankenhaus Aufenthalt.

Dieses Jahr war es anders und es ging, um einen planbaren Eingriff im Bauchbereich. Nachdem der Hausarzt und ein niedergelassener Facharzt für Chirurgie die gleiche Diagnose gestellt hatten, durfte ich mich in einem Krankenhaus vorstellen, wo wiederum die gleiche Diagnose gestellt und endlich ein Operations-termin vereinbart wurde. In diesem Zeitverlauf wurde das Problem leider immer schmerzhafter. Der erste Arzttermin war Mitte März und der OP Termin lag erst Ende Mai - kein Kommentar.

Die Untersuchungen bei den Ärzten waren zuerst noch etwas ungewohnt, aber mit den ganzen Terminen wurde es zum Standard. Nach wie vor war aber das Wartezimmer bzw. das Warten schlimmer. Ich neige leider dazu, mit der Wartezeit immer nervöser zu werden, was u.a. zu Toilettenbesuchen führt.

Patientenaufnahme im Krankenhaus

Zwei Tage vor dem eigentlichen Operationstermin stand eine umfassende Patientenanmeldung im Krankenhaus an. Dort musste ich dann vier Schritte durchlaufen: Allgemeine Patientenaufnahme, pflegerische Aufnahme, Gespräch mit Arzt der Anästhesie und Gespräch mit Arzt der Chirurgie. Zuerst wurde eine ganze Menge an Daten u.a. per Fragebogen abgefragt, in der pflegerischen Anmeldung wurde u.a. Blut abgenommen, seelische und körperliche Vorerkrankungen abgefragt und Anweisungen / Tipps für den OP Termin gegeben. Ich konnte meinen Wunsch nach einem Ein- oder Zweibettzimmer, für mehr Ruhe, äußern und ein passendes Formular wurde ausgefüllt. Preislich lag es etwa bei 85 bzw. 45 Euro pro Abrechnungstag. Beim Gespräch mit dem Narkose Arzt wurde ich etwas nervös, da der Arzt etwas müde war und somit hatte ich Angst, dass manche Themen falsch verstanden wurden. Besprochen wurden u.a. die möglichen Beatmungsarten während der Vollnarkose, Vorerkrankungen im Lungen- und Herzbereich, Zahnprothesen / Zahnersatz wegen dem Beatmungsschlauch. Das Gespräch mit dem Chirurgen war sehr gut und lang, es wurde sehr ausführlich die Operation beschrieben, die Verbote nach der OP erläutert und alle meine Fragen wurden beantwortet. Diese vier Personenkontakte waren räumlich im Eingangsbereich des Krankenhauses angesiedelt und waren jeweils durch Wartezeiten unterbrochen. Die komplette Anmeldung zog sich etwa von 7.45 - 11.15 Uhr.

Krankenhaus Aufenthalt und Operation

Am Tag der Operation sollte ich mich um 7 Uhr auf der Chirurgie Station melden. Das war so früh, sodass ich die Nacht nicht geschlafen habe und gegen 4 Uhr meine kleine Reisetasche einräumte und kurz nach 6 Uhr meine Wohnung verlassen habe. Ich war etwa 20 Minuten zu früh da und hatte somit morgens keinen Stress. Der Wunsch nach einem Einbettzimmer konnte nicht erfüllt werden, aber ein Zweibettzimmer stand zur Verfügung. Mit dem Bettnachbar hatte ich Glück, eine ruhige ältere Person, somit war es auch okay für mich. Ein reguläres Vierbettzimmer habe ich mir seelisch nicht zugetraut, aufgrund der höheren Unruhe durch Patienten, Pfleger und Ärzte, die geringere Privatsphäre, dazu die Gefahr von vielen Besuchern. Ein Zweibettzimmer war für mich aber rückblickend schaffbar, zusätzlich gab es die Möglichkeit Beruhigungs- oder Schafmittel einzunehmen. Im Patientenzimmer konnte ich meine zwischen-menschliche Nervosität gut durch die abgesetzte Brille reduzieren, alles war verschwommen und die Menschen und die Details wurden quasi zensiert.

Ich wünschte mir direkt beim Eintreffen auf der Station Beruhigungsmittel bezüglich der ganzen Menschen. Aufgrund der Sturzgefahr und somit der rechtlichen Absicherung des Krankenhauses, hätte ich nach der Einnahme von (starken) Beruhigungsmitteln im Bett verbleiben müssen oder ich hätte nur in pflegerischer Begleitung das Bett verlassen dürfen. Somit habe ich noch eine Zeit lang mit der Einnahme gewartet, bis ich mich eingerichtet hatte und die Toilettenbesuche erledigt waren. Daher habe ich die Beruhigungsmittel gegen 8 Uhr genommen, etwa eine Stunde bevor es zur Operation los ging. Zwischenzeitlich wurde ohne Beruhigungsmittel der Bereich von Brust bis Oberschenkel rasiert. Es wurde zwar am Anmel-dungstag erwähnt, dass der Operationsbereich und somit der Bauchbereich rasiert werden muss, aber diese Angabe war etwas grob und so mussten noch einige Stellen zusätzlich rasiert werden. Dieser Vorgang war natürlich ziemlich peinlich.

Gegen 9 Uhr ging es Richtung Operationsbereich, durch die Beruhigungsmittel und der abgesetzten Brille, habe ich davon aber nicht viel mitbekommen. Ich kann mich nur an das Einfahren in den Fahrstuhl und das Aufsetzen der Atemmaske erinnern. Die Erinnerung tritt erst wieder nachmittags kurz ein und erst zum leichtem Abendessen bin ich wieder vollkommen geistig anwesend. Zu diesem Zeitpunkt wird mir auch erst die Umgebung wieder klar, aber es ist einem alles eigentlich egal. Die OP Bereich habe ich mir bewusst nicht angeschaut und habe weiter von der abgesetzten Brille profitiert. Da ich den Tag über die Narkose ausgeschlafen habe waren dann doch Schlafmittel für die Nacht notwendig, zusätzlich hatte ich Ohrenstöpsel mitgebracht.

Ich fand es etwas unangenehm, dass es keine Bezugsperson gab, die Ärzte und Pfleger wechselten je nach Schicht und man hat die Personen teilweise nur einmal gesehen. Für ein Zweibettzimmer kamen doch recht viele Angestellte ins Zimmer, wenn ich das auf ein normales Vierbettzimmer hochrechne, wäre das echt grauenhaft. Das Essen hat mir durchaus gut gefallen, es war eine gute Menge und innerhalb des Menüs gab es eine gewisse Abwechselung. Gut fand ich zusätzlich die Möglichkeit nach Wunsch diverse Medikamente zu bekommen, Schmerz-, Schaf-, Beruhigungs- oder Abführmittel.

Nur kurz vor der Entlassung wurde es etwas negativ. Ich wurde meiner Meinung nach, etwas zu früh aus dem Krankenhaus entlassen, aber mein Zustand bzw. die Blutwerte waren scheinbar gut und das Bett wurde schon wieder gebraucht. Ich wäre gerne noch etwas länger dort geblieben, wegen der allg. Sicherheit, der medizinischen Versorgung und der Medikamenten Verfügbarkeit. Es wurde zwar vorher eine wahrscheinliche Aufenthaltsdauer angegeben, aber es wurde dann doch recht schnell die Entlassung entschieden, innerhalb von etwa zwei Stunden, ein Mittagessen war an dem Tag nicht mehr vorgesehen, was ich schon fast als Rausschmiss verstand. Dazu gab es am Entlassungstag keine Zeit mehr für ein ärztliches Gespräch, ich wurde an den Hausarzt verwiesen. Es war nicht mehr möglich Fragen zu stellen oder sich nochmal abzusichern, z.B. welche körperlichen Veränderungen nach der OP auftreten können und wie sie einzuordnen sind. Einige Tage später habe ich gemerkt, dass ich durch die starken bzw. länger wirkenden Schmerzmittel im Krankenhaus einen besseren Zustand hatte, als dann später zu Hause nur mit Standard Schmerzmitteln. Dazu war ich im Menschenkontakt noch unsicherer als vorher, da ich mich durch den medizinischen Eingriff leicht angreifbar fühlte.

Die Hin- und Rückreise war auch ein relevantes Thema, die Rückreise war dabei natürlich von größerer Bedeutung. Da ich in der Stadt wohne, wählte ich das Fahrrad als Transportmittel. Zu Fuß zu gehen war mir morgens auf dem Hinweg zu langwierig. Auf dem Rückweg musste ich aufgrund der Sturzgefahr das Fahrrad zwar schieben, aber ich konnte die Reisetasche auf den Gepäckträger festschnallen und konnte mich auf das Fahrrad abstützen. Der ÖPNV kam für mich nicht in Frage, da ich diesen sehr lange nicht verwendet hatte und mich in der Menschenmenge kein Stück wohl fühle. Dazu hatte ich Angst nach der Operation Verletzungen vom Gedränge in einem vollbesetzten ÖPNV zu bekommen. Eine Fahrt mit dem Taxi wäre sicherlich im Winter die erste Option gewesen. Aber der Gurt wäre genau im Bereich der Operationswunden gewesen, somit hätte ich vielleicht ein Kissen zwischen legen müssen.

Fazit

Der Vorlauf und der Krankenhaus Besuch waren seelisch sehr gut, um diverse Hemmschwellen abzubauen. Die Hemmschwellen zu medizinischen Themen, Untersuchungen und Nacktheit wurden - hoffentlich dauerhaft - gesenkt. Dazu hatte ich diverse positive zwischenmenschliche Kontakte und konnte somit die negativen menschlichen Momente im Leben etwas überschreiben. Dazu gab es einen interessanten Einblick in den Krankenhausbetrieb.

anonym


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zuletzt am 11.08.2024 um 15 Uhr 14