Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Hannoversche Allgemeine, 17.10.2005

Der Schüchternen-Beauftragte
30-Jähriger gründet Selbsthilfegruppen und will damit auch seine eigenen Ängste abbauen

Von Gabriele Schulte

Braunschweig. Rot wird er selten. Vom Holzstuhl auf seinem eigenen Balkon aus traut sich Julian Kurzidim auch, dem Gegenüber direkt in die Augen zu sehen. Worte wie "eigentlich" und "vielleicht" aber verraten den Schüchternen. Dazu die Finger, die abwechselnd einander und dann von unten die Oberschenkel umklammern - die Hände würden sonst zittern. Die Füße, stets eng zusammen gestellt, manchmal über Kreuz. Und auf jede Frage die Pause, in der er über die genau passende Antwort nachgrübelt. Nichts Falsches sagen, sonst droht Kritik, und er würde sich schämen.
Julian Kurzidim stellt sein Licht gern unter den Scheffel. "Mit dem Computer kenne ich mich einigermaßen aus", sagt der Sozialpädagoge zum Beispiel, aber auch das nur auf Nachfrage. Dabei sieht man seinen Internetseiten www.schuechterne.org an, dass er davon mehr als ein bisschen versteht. Der 30-Jährige weist dort auf die Selbsthilfegruppen hin, die er seit drei Jahren übers Land verstreut gründet. In Braunschweig, Peine, Wolfsburg, Hannover, Goslar und Hildesheim gibt es sie schon, in Celle und bei Stade werden sie vorbereitet.
"Es hilft mir zu sehen, dass ich nicht allein bin mit meinem Anderssein", sagt der Initiator. In einer Gruppe von Redegehemmten wagt er sogar, kleine Vorträge zu halten. Wenn mal wieder Stille herrscht, weil alle sich lieber zurückhalten, stellt er Bücher zur Schüchternheit und ihrer Steigerung, der Sozialphobie, vor. Der Sozialpädagoge sieht sich als ehrenamtlicher Schüchternen-Beauftragter. Sein Ziel: eine fester Job in diesem Gebiet.
Denn mit einer Stelle hat es nur einmal für drei Monate geklappt. Schon Bewerbungsgespräche sind eine riesige Hürde. "In einem Heim für psychisch Kranke durfte ich anfangen, weil es nur eine Mitbewerberin gab, und weil die mehr Geld verlangt hat", meint Kurzidim in gewohnt bescheidener Art. "Aber ich konnte mich den Bewohnern gegenüber nicht durchsetzen und fühlte mich bloßgestellt."
Das war schon im Kindergarten so, und erst recht in der Schule. Julian stand am Rand, meldete sich trotz guter schriftlicher Leistungen selten und wurde beim Mannschaftssport als letzter gewählt. Begründet sein kann solche Ängstlichkeit in sehr strenger wie auch in sehr behütender Erziehung, die Gene spielen wohl ebenfalls eine Rolle. Julian Kurzidim ist die Vergangenheit nicht so wichtig. Er hebt gerne die guten Seiten der Schüchternheit hervor: Einfühlsamkeit, Rücksicht, Freiheit statt Gruppenzwang.
Seine erste Freundin hatte der junge Mann mit 23, sie war auf ihn zugekommen. Seit sechs Jahren ist er wieder allein. Für die Frau, die er gern kennen lernen wurde, hat Julian Kurzidim schon einen silbernen Ring gekauft, den trägt er zunächst selbst. Als er ihn zeigt, wird er dann doch ein wenig rot. Aber dazu steht er inzwischen.



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