Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Braunschweiger Zeitung, 5.2.2015

Angstschweiß begleitet den Alltag
Menschen, die unter Sozialphobie leiden, sind extrem schüchtern und meiden Kontakte.

Von Iris Antelmann

Braunschweig. Bevorstehende Bewerbungsgespräche sind für den Braunschweiger die Hölle. Bereits Wochen zuvor ist er extrem nervös, findet nur schlecht in den Schlaf, hat schlimme Magenschmerzen.
Sitzt er potenziellen Arbeitgebern gegenüber, nagen Selbstzweifel an Ihm. Gekleidet ist er stets in ein dunkles Hemd und ein dunkles Sakko. Nicht der Optik wegen, sondern wegen des Angstschweißes.
Bei den hellen Hemden werden die Flecken sofort sichtbar, das empfindet der Braunschweiger als hochgradig unangenehm. Und es ergibt eventuelle Nachfragen, was doppelt peinlich ist. Ein Teufelskreis.
Frank-Ulrich Berger (Name von der Redaktion geändert) leidet unter Sozialphoble. Menschen mit dieser Phobie sind extrem schüchtern. So sehr, dass sie gesellschaftliche Zusammenkünfte melden, wann immer es geht - aus Angst, bestimmte Erwartungen nicht erfüllen zu können. Und aus Angst, abgelehnt zu werden.
Sobald sich der 52-Jährige anderen ein Stück weit öffnen soll, überkommt. ihn Panik. Bewerbungsgespräche sind extrem, aber auch andere Situationen wie Familientreffen empfindet er als unangenehm.
Steht er im Fokus, nagt der Selbstzweifel an ihm. Dann möchte er nur noch weglaufen, sich in Luft auflösen. Kann er sich dem nicht entziehen, zeigen sich körperliche Reaktionen vor allem in Form von extremer Transpiration sowie Magenschmerzen.
Bereits als Kind spürte Berger Versagensängste. "Ich habe bei anderen Kindern schwer Anschluss gefunden, ich war ein typischer Einzelgänger."
War er doch mal bei Geburtstagen eingeladen, ging er nicht hin. Weil er vieles nicht essen mochte, hätte er oft ablehnen müssen - und im Fokus gestanden. Ein Umstand, den es unbedingt zu vermeiden galt.
Mit zunehmendem Alter zog er sich immer mehr zurück, das Gefühl der Einsamkeit und Traurigkeit wuchs. Seine Eltern befreiten ihn nicht aus der Isolation, zu sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt. Ein Ort der Geborgenheit? Für Berger gab es den nicht.
Später, im Arbeitsleben, wuchsen seine Selbstzweifel noch. "Egal, wie gut ich etwas gemacht habe, ich hatte immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein", sagt der EDV'ler. Schweißausbrüche waren an der Tagesordnung, Brechreiz am Morgen ebenso.
Fühlte er sich extrem unwohl, zögerte er einen Jobwechsel lange hinaus - aus Angst vor der Tortur bei Bewerbungsgesprächen. Und so hat Berger, trotz überdurchschnittlicher Begabung, keine Karriere gemacht.
Seit einiger Zeit ist der 52-Jährige dennoch zuversichtlicher. Das liegt. zum einen sn seiner beruflichen Situation: Vor kurzem wurde er - zunächst für zwei Jahre - berentet.
Das nehme ihm sehr viel Druck, sagt er. Er fühle sich befreit, "vorher habe Ich jeden Arbeitstag als Prüfung empfunden".
Außerdem haben ihn jahrelange Gespräche in der Selbsthilfegruppe "Intakt - Norddeutscher Verband der Selbsthilfe bei sozialen Ängsten" zunehmend Halt und Sicherheit gegeben. Weil er sich dort erstmals nicht als Exot wahrgenommen hat, sondern als einer unter anderen mit demselben Problem.
Und so hat er neben schwierigen Tagen ikmmer wieder auch gute. Dann traut er sich unter Menschen, zu denen er im Laufe der Jahre ein vorsichtiges Band geflochten hat, Zwar sei Partnerschaft noch immer ein Problem, "einen Lebenspartner zu Ilnden, stellt für Sozialphobiker ein Riesenproblem dar. Die melsten sind Single." Doch habe sich dureh seine Lebenserfahrung sein Verhalten anderen Menschen gegenüber durchaus geändert, er werde zunehmend sicherer.
An ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch, sollle die Berentung nach zwei Jahren enden, denkt er erst einmal nicht.


DREI FRAGEN AN

Dr. Christoph Pelster (55), Psychotherapeut aus Braunschweig.

"Mit angezogener Handbremse"

Wie entsteht eine sozlale Phoble?

Bei vielen Betroffenen liegt eine deutlich gestörte Selbstwertentwicklung vor. Häufig findet man in den Biografien wenig einfühlsame, überkritische oder auch überfürsorgliche Eltern (sogenannte Helikoptereltern), die durch ihren jeweiligen Erziehungsstil eine gesunde Selbstwertentwicklung bei ihrem Kind massiv behindern. Darüber hinaus können auch traumatische soziale Erlebnisse in der Schulzeit wie etwa andauernde Hänseleien, ausgeprägte Mobbingstrukturen oder andere Formen sozialer Ausgrenzung die Entstehung einer sozialen Phobie begünstigen.

Wann ist die Scheu vor Menschen krankhaft?

Die Grenze zwischen Schüchternheit und einer krankhaften Scheu vor Menschen ist sicherlich fließend. Menschen, die unter einer sozialen Phoble leiden, können Ihr Leben in der Regel nicht selbst frei bestimmen. Sie sitzen in einem "Gefängnis" von beinah allgegenwärtigen Ängsten, die häufig privat wie beruflich einen nur sehr eingeschränkten Lebensstil zulassen - es ist ein Leben "mit angezogener Handbremse". Meist findet sich auch ein ausgeklügeltes System von zahlreichen Vermeldungsstrategien. Betroffene sind mit der Verwaltung und Organisation des Vermeidungsverhaltens intensiv beschäftigt und in der Folge sozial oft vollkommen isoliert.

Wie kann eine soziale Phobie behandelt werden?

Selbsthilfegruppen spielen hier eine ganz herausragende Rolle: Betroffene können dabei in einem Klima von Wertschätzung und gegenseitigem Respekt erstmals wieder positive soziale Erfahrungen machen. Ergänzend können in einer längeren ambulanten Psychotherapie die Zusammenhänge der Ursachen aufgedeckt und bearbeitet werden, zudem erleben die Betroffenen in der Therapie häufig eine wichtige korrigierende Beziehungserfahrung. Zu einem späteren Zeitpunkt kann gegebenenfalls eine Gruppentherapie eine weitere Entwicklung ermöglichen. Schließlich gibt es Kliniken, die spezielle Behandlungsprogramme und soziale Kompetenztrainings anbieten.

SELBSTHILFEGRUPPE

intakt - Norddeutscher Verband der Selbsthilfe bei sozialen Ängsten. Die Treffen sind gedacht für Betroffene, die sich unter Gleichgesinnten austauschen möchten. Info-Abende finden gelegentlich statt.

Treffen: jeden Mittwoch um 19.15 Uhr im Kulturzentrum Brunsviga, Karlstraße 35, 38106 Braunschweig

Kontakt: Julian Kurzidim, (0531) 349 6518, Mail: intakt-ev(ä)schuechterne.org, Internet: www,schuechterne.org; Adresse: Wendenring 4 / Briefkasten 93, 38114 Braunschweig sowie KIBIS, Kontakt, Information und Beratung im Selbsthilfebereich, (05 31) 4 80 79 20, Mail: kibis(ä)paritaetischer-bs.de. Im Internet: www.selbsthilfe-braunschweig.de

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