Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

News.de, 6.11.2008

Die graue Maus traut sich
Ich bin schüchtern - na und?

Von Claudia Arthen

Rote Mützen waren immer ein Gräuel für Julian Kurzidim. Unvorstellbar, dass er eine getragen hätte. Denn wenn es eines gibt, das er vermeiden möchte, dann ist es aufzufallen. "Ich bin nun einmal eine schüchterne graue Maus", sagt er.

Letztens hat die graue Maus all ihren Mut zusammengerafft und eine knallrote Baskenmütze aufgesetzt. "Ich wollte mit dem Gefühl umgehen lernen, von anderen angestarrt zu werden", erklärt er. Julian hat dumme Sprüche befürchtet, doch stattdessen bekam er Komplimente zu hören. "Da hat doch tatsächlich einer gesagt, dass ich eine coole Mütze trage", wundert sich der 32-Jährige.

Julian macht aus seiner Schüchternheit keinen Hehl. "Ich bin einer von denen, denen es schwer fällt, Kontakte zu knüpfen, der sich viele Gedanken macht über alles, was passieren könnte, und vor allem darüber, was andere von mir denken." Das sei schon immer so gewesen. Im Kindergarten, wo er keinen Anschluss fand. In der Schule, wo er sich trotz guter schriftlicher Leistungen kaum gemeldet hat. Beim Mannschaftssport, wo er immer als letzter gewählt wurde.

Klar, dass so einer Probleme in der Liebe hat. Seine erste Freundin hatte Julian mit 23 Jahren - aber auch nur, weil sie die Initiative ergriffen hat. Und die zweite Beziehung hat auch nicht lange gehalten. "Es war ein Teufelskreis", sagt Julian. "Je ängstlicher ich war, desto seltsamer wirkte ich auf andere." Und desto schwieriger wurde es für ihn, auf andere Menschen zu zu gehen. Am schlimmsten aber war für ihn, wenn andere ihn aufforderten: "Sag doch auch mal etwas".

In der Schule wurde er gehänselt, später auf der Arbeit gemobbt. Das war, als er als Sozialarbeiter in einem Heim für psychisch Kranke beschäftigt war. Nach drei Monaten gab er den Job auf, weil er sich nicht gegen die Bewohner durchsetzen konnte und sich bloßgestellt fühlte. Dass er trotz seiner Hemmungen Sozialpädagogik studiert und einen kommunikativen Beruf ergriffen hat, ist für Julian Kurzidim kein Widerspruch. "Schüchterne sind einfühlsam, sanftmütig und gute Zuhörer", sagt er. Derzeit arbeitet er als freier Computerfachmann, wobei er meist allein am PC sitzt.

Lange konnte sich Julian Kurzidim nicht erklären, warum er so gehemmt ist. Erst eine Gesprächstherapie half ihm, mit seinen Kontaktängsten umzugehen. Er hat viel gelesen über Schüchternheit. Zum Beispiel, dass sie in einer strengen und sehr behütenden Erziehung begründet sein kann und dass die Gene ebenfalls eine Rolle spielen können. Darüber, was bei ihm Auslöser gewesen sein könnte, möchte er nicht sprechen. Lieber erzählt er, dass er vor sechs Jahren in seiner Heimatstadt Braunschweig eine Selbsthilfegruppe und einen Verein für Schüchterne gegründet hat.

"Irgendwann habe ich erkannt, dass es eine Menge Menschen gibt, die genauso sind wie ich", sagt er. Das sei eine starke Motivation gewesen. Zum ersten Gruppentreffen kamen 25 Leute; inzwischen gibt es ein Dutzend Selbsthilfegruppen mit ungefähr 100 Mitgliedern in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Bei ihnen fühlt sich Julian Kurzidim gleichberechtigt, vor ihnen traut er sich, kleine Vorträge zu halten. Die Schüchternen helfen sich gegenseitig, unternehmen Ausflüge, gehen ins Kino oder treffen sich zum gemeinsamen Kochabend. Sie können sich auf der von Julian Kurzidim gestalteten Homepage www.schuechterne.org Rat holen und sich austauschen.

Durch die Arbeit in der Selbsthilfegruppe und im Verein ist der Braunschweiger selbstbewusster geworden. "Ich habe gelernt mich so zu akzeptieren, wie ich bin", sagt er und ergänzt: "Ich bin schüchtern - na und?" Außerhalb des Vereins ist es aber nach wie vor nicht leicht für Julian, Leute kennen zu lernen. "Ich kann meine Qualitäten erst dann zeigen, wenn andere mir Zeit geben, mich zu öffnen", erklärt er. Sein größter Wunsch ist, "dass sich die Schüchternen eines Tages zusammenschließen, eine deutschlandweite Bewegung bilden und in jeder Stadt eine Gruppe für Schüchterne gründen". Sein persönliches Ziel ist ein fester Job: am besten als Bundesschüchternenbeauftragter.



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